Jahrbuch Sucht 2011: Suchtmittelkonsum nach wie vor auf dramatisch hohem Niveau

Alkoholkonsum, der Konsum von Medikamenten mit Suchtpotenzial und illegale Drogen sind in Deutschland dramatisch etabliert. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V., der Zusammenschluss, der in der Suchtprävention und Suchthilfe bundesweit tätigen Verbände, stellt ihr Jahrbuch SUCHT 2011 vor.

"Dies ist die eine gute Nachricht in einer dramatischen Situation: Der Tabakkonsum sinkt in Deutschland. Der Alkoholverbrauch bleibt entschieden zu hoch, zu riskant, zu folgenreich." Dr. Raphael Gaßmann, der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Hamm, stellt klar: "Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Medien und die Politik für jedes Suchtmittel eigene Regeln schaffen, je nach Lobbypartnern und Wahlterminen ? und dies von einer Konsumgesellschaft gern aufgegriffen wird. Bei Tabak ist allen Konsumenten unmissverständlich klar, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist. Aber das gilt für alle Rausch- und Nervengifte: Alkohol, psychotrope Medikamente und illegale Drogen."

Tabak

Der Rückgang des Zigarettenverbrauchs ist deutlich, aber mit 1,6% im Jahr 2009 nur noch halb so intensiv wie im Jahr zuvor (2008: 3,8%). 1.055 Zigaretten waren das je Einwohner im Jahr 2009 (2008: 1.071). Die Zahl gerauchter Zigarren und Zigarillos sank im gleichen Zeitraum um 24,6% auf 3.763 Stück und der Pfeifentabakverbrauch gar um 57,2% auf 806 t, während der Feinschnittverbrauch um 11,7% auf 24.403 t anstieg. Diese Veränderung weist auf geänderte Konsummuster hin. Hier greifen Preiserhöhungen, Abgabebeschränkungen und Gesundheitsbewusstsein.

Auch die Tabaksteuereinnahmen sind 2009 um 1,5% auf 13.356 Mrd. Euro gesunken (2008: um 4,8 % auf 13,653 Mrd. Euro). In Deutschland rauchen dem Epidemiologischen Suchsurvey 2009 zufolge (30 Tage Prävalenz, DSM-IV 2009) 29,2% der 18- bis 64-Jährigen (32,8% der Männer und 25,5% der Frauen). Es muss von jährlich 110.000 ? 140.000 tabakbedingten Todesfällen ausgegangen werden.

Immer mehr Menschen in Deutschland geben das Rauchen auf oder fangen gar nicht erst an. Doch bereits im Alter von 12 bis 15 Jahren steigen jeder und jede Fünfzehnte (6,7%) in den Tabakkonsum ein. Mit dem Ergebnis, dass die Raucherquote bei den 22- bis 25-Jährigen am höchsten ist: Männer 42,0%, Frauen 40,7%.

Alkohol

Erfreulich ist Rückgang des Alkoholkonsums in Deutschland. Im Jahr 2009 wurde mit 9,7 Liter reinen Alkohols 2,0% weniger getrunken als im Jahr zuvor (2008: 9,9 Liter reiner Alkohol). Für viele vermeidbare Gesundheitsschäden und sozialen Folgen infolge des Alkoholkonsums ist dieser geringfügige Rückgang, seit 2005 nur um 0,3 Liter, entschieden zu gering.

Im internationalen Vergleich der WHO (2005) steht Deutschland mit einem Alkoholkonsum der über 15-Jährigen von 11,8 Litern registrierten plus 1 Liter nicht registrierten reinen Alkohols nach Tschechien, Estland, Irland, Frankreich, Österreich, Portugal, Ungarn, Slowenien, Litauen und Luxemburg an elfter Stelle. (2003: fünfter Platz mit 12,0 plus 1,0 Liter reinen Alkohols)

Von 2000 zu 2009 ergibt sich prozentual eine Steigerung der Alkoholvergiftungen in allen Altersgruppen von 111,91%, während die Steigerung von 2008 zu 2009 mit 4,79 % angegeben wird. Die Steigerungszahlen (2000 zu 2009) werden insbesondere für die 10- bis 20-Jährigen (177,78 %) und 20- bis 25-Jährigen (194,40%) dargestellt. Aber auch die 45- bis 50-Jährigen (133,39%), die 50- bis 55-Jährigen (184,47 %) sowie die über 65-Jährigen mit über 180,72 % weisen vergleichbare oder höhere Steigerungen auf.

Mit 333.800 Behandlungsfällen ist die psychische oder verhaltensbezogene Störung durch Alkohol die dritthäufigste Einzeldiagnose aller Hauptdiagnosen der Krankenhausstatistik des Jahres 2008.

Seit Jahren muss von jährlich über 73.000 Todesfällen ausgegangen werden, die auf alkoholbezogene Gesundheitsstörungen zurückzuführen sind. Gut ein Fünftel aller Todesfälle zwischen 35 und 65 Jahren sind alkoholbedingte Todesfälle, allein bei den Männern dieser Altersgruppe ein Viertel aller Todesfälle.

Für das Jahr 2007 wurden volkswirtschaftliche Kosten infolge alkoholbezogener Krankheiten in Höhe von 26,7 Mrd. Euro ermittelt, verglichen mit 24,4 Mrd. für das Jahr 2002. Demgegenüber stehen die Einnahmen des Staates aus alkoholbezogenen Steuern, die 2009 um 0,6% auf 3,305 Milliarden Euro gesunken sind. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit seinen Steuersätzen bis auf Schaumwein und Zwischenerzeugnisse eher im europäischen Unterfeld: Je Liter reinen Alkohols werden für Branntwein/Spirituosen 13,03 ? verlangt, für 1 Liter Schaumwein 13,60 ?, für Bier 1,97 ? und für Wein wird keine alkoholbezogene Steuer erhoben.

2009 wurden 471 Mio. Euro für die Alkoholwerbung in TV, Rundfunk, Plakate und Presse ausgegeben, ungeachtet der Ausgaben für Sponsoring und Werbung im Internet. Experten schätzen die Ausgaben außerhalb der klassischen Werbegattungen zusätzlich auf über 600 Mio. Euro jährlich. Macht 1,1 Mrd. Euro für Alkoholwerbung.

In Deutschland konsumieren insgesamt 9,5 Mio. Menschen Alkohol in gesundheitlich riskanter Weise, wenn sie mehr als 12 g (Frauen) bzw. 24 g (Männer) täglich konsumieren. Von den 9,5 Mio. Menschen konsumieren 2,0 Mio. missbräuchlich und 1,3 Mio. abhängig Alkohol.

Psychotrope Medikamente

4 ? 5 % aller häufig verordneten Arzneimittel besitzen ein eigenes Suchtpotenzial und sind verordnungspflichtig. Schätzungsweise ein Drittel dieser Mittel werden nicht wegen akuter Probleme, sondern langfristig zur Suchterhaltung und zur Vermeindung von Entzugserscheinungen verordnet. Dennoch wurden 2009 z. B. 28,1 Packungen Schlaf- und Beruhigungsmittel (- 2 % zum Vorjahr / 2008: 28,9 Mio.) und 10,5 Packungen Tranquilizer, die ?klassischen? Benzodiazepine, (- 4 % zum Vorjahr / 2008: 11 Mio.) verkauft.

Die Verkaufszahlen geben die Spitze des Eisbergs wieder. Ein Trend für die gesellschaftliche Belastung durch abhängig machende Medikamente lässt sich daraus nicht ablesen, da die Internetbestellungen und Privatrezepte boomen. Die DHS fordert für dieses Suchtproblem stärkere Präventionsbemühungen, Information aller Beteiligten, Mediziner, Apotheker und Medikamentennutzer sowie eine intensive Forschung.

Schätzungsweise 1,4 Mio. sind abhängig von Medikamenten mit Suchtpotenzial, 1,1 ? 1,2 Mio. Menschen von Benzodiazepin-Derivaten und weitere 300.000 ? 400.0000 Menschen von anderen Arzneimitteln.

Illegale Drogen

Deutschland gehört mit geschätzten 3,3 problematischen Drogenkonsumenten pro 1.000 Einwohner im Alter von 15 bis 64 Jahren zu den Ländern mit niedriger Prävalenz. Nach Schätzungen des Epidemiologischen Suchtsurveys 2009 liegt für 1,2 % der Gesamtbevölkerung zwischen 18 bis 64 Jahren eine Cannabisabhängigkeit oder problematischer Cannabiskonsum vor. Doch die Schätzung ist ungenau und gemäß Autoren übertrieben. Verlässlichere Zahlen sprechen von ca. 220.000 Cannabisabhängigen.

Im Vergleich zu Cannabis weist der geschätzte Anteil Abhängiger und Problemkonsumenten von Kokain (0,2 %) und Amphetaminen (0,1 %) deutlich geringere Werte aus. Die Geschlechterunterschiede bei Kokainabhängigen wie bei Amphetaminenabhängigen zeigen eine höhere Zahl bei Männern (0,2%) als bei Frauen (0,1%).

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen stellt fest:

Die nur geringfügigen Reduzierungen im Bereich legaler Suchtmittel bestätigen die Forderungen der DHS nach Angebotsreduzierung, Preiserhöhung und Werbeeinschränkung der verschiedenen abhängig machenden Substanzen. Verhaltens- und Verhältnisprävention müssen flächendeckend und kontinuierlich eingesetzt werden, damit Deutschland endlich die internationalen Spitzenplätze im gesundheitsschädlichen Konsum verlässt.

Artikel vom 26. April 2011

 

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