Abstinenzbewegung

Die Abstinenzbewegung (auch Temperenzbewegung) ist eine soziale Bewegung, die vor allem Ende des 19. Jahrhunderts bis Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt hatte. Politisch und praktisch aktiv wird die Abstinenzbewegung mithilfe so genannter Abstinenzvereine, die für ein alkoholfreies oder suchtmittelfreies Leben eintreten.

Die Idee von einem alkoholabstinenten Leben stammte aus den puritanisch orientierten religiösen Gemeinschaften Nordamerikas. Von den 1830er Jahren an verbreitete sich die Idee von Skandinavien und England ausgehend auch in Europa. Luis-Lucien Rochat, ein freikirchlicher Pfarrer aus der Waadt, war von der englischen Abstinenzbewegung überzeugt und gründete nach ihrem Vorbild im Jahr 1877 das Blaue Kreuz.

Weltanschaulicher Hintergrund

Die Gründe, weshalb Menschen alkoholfrei leben, sind sehr verschieden. Sie können religiöser oder politischer Natur sein. Es kann sein, dass man aufgrund direkter oder indirekter Betroffenheit von Alkoholproblemen einen alkoholfreien Lebensstil pflegt. Temperenzler sahen im totalen Verzicht auf Alkohol einerseits einen Ansatz zur Heilung von Alkoholkranken, andererseits aber sogar die Lösung gesellschaftlicher Probleme. Dadurch stand die Abstinenzbewegung der Sittlichkeitsbewegung nahe, welche eine sittliche Reform der Gesellschaft zur Hebung der Moral anstrebte.

Mitte der 1880er Jahre brachte der Basler Professor Gustav von Bunge sozialhygienische Argumente in die Abstinenzbewegung ein. Durch die Trinkerei werde das menschliche Erbgut geschädigt und dadurch die Volksgesundheit gefährdet. Deshalb forderte Bunge ein Alkoholverbot und Abstinenz für die gesamte Bevölkerung. Ein weiterer wichtiger Vertreter dieser "sozialhygienischen Richtung" der Abstinenzbewegung war Auguste Forel, ein Psychiater, der in Ellikon an der Thur eine Klinik für Alkoholiker betrieb und für viele Fortschritte in der Behandlung Alkoholkranker verantwortlich zeichnet.

Ausmaß und gesellschaftlicher Einfluss

Gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte die Abstinenzbewegung zu den wichtigsten sozialen Bewegungen in Europa und den USA. In der Schweiz waren um 1900 um die 60.000 Personen in Abstinenzvereinen tätig. Als sich nach dem Ersten Weltkrieg die Konsumgewohnheiten der Bevölkerung und die gesamtgesellschaftliche Situation änderten, verlor die Abstinenzbewegung an Bedeutung und Einfluss. 1908 stimmten noch 63% der Schweizer Stimmberechtigen für ein Verbot des Absinths; 20 Jahre später wurde ein Volksbegehren zur Einführung der Möglichkeit der Schweizer Gemeinden, in ihrer Gemeinde die Prohibition einzuführen, mit 67% Nein-Stimmen abgelehnt.

Unbestritten ist der gesellschaftliche Einfluss der Abstinenzbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Änderungen in den Trinkgewohnheiten der Bevölkerung (weg vom Schnaps, hin zu Bier und alkoholfreien Getränken) sind zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass Abstinente das Thema Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch öffentlich diskutierten und so die damit einhergehenden Probleme ins Bewusstsein der Öffentlichkeit brachten. Konkrete Erfolge sind beispielsweise die Milderung des "Trinkzwangs" in geselliger Runde (Bewusstseinsänderung) oder die Entwicklung effizienter Behandlungsmethoden für Alkoholiker und ihre Angehörigen.

Mitgliederstruktur

Wie andere gemeinnützige Vereine und die Sittlichkeitsvereine wurden die Abstinenzvereine zu großen Teilen von ihren weiblichen Mitgliedern getragen, die - in Ermangelung politischer und wirtschaftlicher Rechte - hier eine Möglichkeit fanden, außer Haus tätig zu werden und gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen.

Organisationen

Abstinenzvereine lassen sich in verschiedene Richtungen einteilen. So z. B.

  • die christliche Richtung (evangelisch: Blaues Kreuz, katholisch: Kreuzbund)
  • die humanistische/pazifistische Richtung (Guttempler (IOGT))
  • die politische Richtung (Sozialistischer Abstinenten-Bund, Prohibition Party)

Weblinks

Literatur

  • van Treeck, Bernhard: Drogen- und Suchtlexikon, Lexikon-Imprint-Verlag, Berlin, 2003, ISBN 3-89602-221-0
  • van Treeck, Bernhard: Drogen, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, 2003, ISBN 3-89602-420-5
  • Trechsel, Rolf: Die Geschichte der Abstinenzbewegung in der Schweiz im 19. und frühen 20. Jahrhundert, ASA, Lausanne, 1990

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