Recht auf Rausch

Recht auf Rausch betitelt die 1990 vom Landgericht Lübeck unter Richter Wolfgang Neskovic aufgeworfene Frage, ob das Verbot von Cannabis in Deutschland grundrechtswidrig sei.

Die Angeklagte des Ausgangsverfahrens wurde durch Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 1. Oktober 1990 wegen vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Haschisch (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 BtMG und dessen Anlage I) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts besuchte die Angeklagte am 17. April 1990 in der Justizvollzugsanstalt Lübeck ihren Ehemann, der sich wegen des Vorwurfs, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben, in Untersuchungshaft befand. Bei der Begrüßung umarmte die Angeklagte ihren Ehemann und übergab ihm dabei ein Briefchen mit 1,12 Gramm Haschisch. Die Angeklagte legte gegen dieses Urteil unter Beschränkung auf das Strafmaß Berufung ein.

Die für das Berufungsverfahren zuständige Strafkammer des Landgerichts Lübeck sah sich an einer Bestrafung der Angeklagten gehindert; sie war der Überzeugung, dass die einschlägigen Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verfassungswidrig seien. Sie hat das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung vorgelegt, ob § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG (Handlungsalternative Abgabe) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 BtMG und dessen Anlage I (Haschisch) mit dem Grundgesetz vereinbar seien.

Die Vorlage der Strafkammer stützte sich dabei im Wesentlichen auf drei Argumente:

  • Die Aufnahme der Cannabisprodukte in die Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil dort Alkohol und Nikotin nicht aufgeführt seien.
  • Die Strafbarkeit der Abgabe von Cannabisprodukten, die dem Eigenkonsum dienen, sei auch unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 GG, dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit.
  • Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Recht auf körperliche Unversehrtheit) liege vor, weil der Bürger, der sich in Ausübung seines grundrechtlich geschützten ?Rechts auf Rausch? berauschen wolle, durch das strafrechtliche Verbot, Cannabisprodukte zum Eigenverbrauch zu erwerben oder zu erlangen, in die gesundheitsschädlichere Alternative, nämlich den nicht strafbaren Alkoholkonsum gezwungen werde. Es sei mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht zu vereinbaren, dass der Gesetzgeber dem Rauschwilligen bei Strafandrohung untersage, das für seine Gesundheit erheblich weniger schädliche Rauschmittel zu nehmen.

Daraufhin reichten auch die Strafkammer des Landgerichts Hildesheim, das Landgericht Frankfurt am Main und das Amtsgericht Stuttgart Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG ein, weil sie sich aus Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der relevanten BtMG-Vorschriften an der Fortführung von Strafverfahren für Cannabisbesitz und -abgabe gehindert sahen.

Am 9. März 1994 erging das so genannte ?Cannabis-Urteil? des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 90, 145 - Cannabis), in dem entschieden wurde, dass es ein Recht auf Rausch nicht gibt:

1. a) Für den Umgang mit Drogen gelten die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG. Ein ?Recht auf Rausch?, das diesen Beschränkungen entzogen wäre, gibt es nicht.
b) Die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, die den unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten mit Strafe bedrohen, sind im strafbewehrten Verbot am Maßstab des Art. 2 Abs. 1, in der angedrohten Freiheitsentziehung an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zu messen.

Zusammenfassend wird in der Entscheidung festgehalten:

Die zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sind, soweit sie Gegenstand einer zulässigen Vorlage sind, mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Strafbarkeit des unerlaubten Umgangs mit Cannabisprodukten, insbesondere Haschisch, verstößt insoweit weder gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG und grundsätzlich auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

Nur Richter Bertold Sommer äußerte eine davon abweichende Meinung:

Ich vermag der Entscheidung des Senats zu Nr. 2 des Tenors nicht in vollem Umfang zuzustimmen. Die Strafdrohung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 5 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) gegen Einfuhr, Durchfuhr, Erwerb und Besitz von Cannabisprodukten (insbesondere Haschisch) auch in geringen Mengen zum Eigenverbrauch verletzt Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, beide in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

In der Entscheidung wurde auch auf die geringe Menge Bezug genommen, für die mildere Strafdrohungen gelten. Wieviel eine geringe Menge ist, wurde in Deutschland bis heute nicht gesetzlich geregelt. Diese Festlegung wurde den Gerichten, insbesondere der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und im Übrigen den Verwaltungsvorschriften der Landesjustizverwaltungen für Staatsanwaltschaften überlassen. Das Bundesverfassungsgericht geht von einem Grenzwert von 7,5 Gramm THC für eine ?nicht geringe Menge? aus. Es ist fraglich, ob dies dem Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG entspricht.


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