Gekipptes Rauchverbot: Wirte jubeln zu früh

Das Bundesverfassungsgesetz hat die in Baden-Württemberg und Berlin geltenden Rauchverbote heute, Mittwoch, für verfassungswidrig erklärt. Entgegen ersten Jubelmeldungen der Wirte, könnte dieses Urteil noch weitrechende negative Auswirkungen für sie haben.

"Zwar ist das ein kurzfristiger Erfolg für die Wirte, doch langfristig kann er sich als Bumerang herausstellen", meint Josef Isensee, Professor für Staatsrecht an der Universität Bonn. Denn das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil klar gemacht, dass es den Schutz der Besucher über die wirtschaftlichen Interessen der Gastwirte stellt. "Der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren - wozu der Gesetzgeber auch das Passivrauchen zählen darf - ist ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut", sagte Hans-Jürgen Papier, Präsident des Verfassungsgerichtes , bei der Urteilsverkündung. Geklagt hatten zwei Eckkneipenbesitzer aus Berlin und Tübingen sowie ein Heilbronner Discothekenbetreiber. Sie sahen sich aufgrund der bestehenden Gesetze diskriminiert.

Die Karlsruher Richter beauftragten die Landesparlamente bis zum 31. Dezember 2009 Neuregelungen beim Nichtraucherschutz auf den Weg zu bringen. Dabei ließen sie zwei mögliche Schlagrichtungen offen. Die erste wäre ein generelles Rauchverbot für alle Lokalitäten. Oder in den Gesetzen werden auch für Eckkneipen, Clubs und Discotheken Sonderregelungen verankert. "Damit könnten die Kneiper schnell vom Regen in die Traufe kommen", ist sich Isensee sicher. Denn juristisch könne dies bedeuten, dass ab Anfang 2010 überhaupt nicht mehr in gastronomischen Einrichtungen geraucht werden darf.

Doch räumt er noch strikteren Nichtraucherschutzgesetzen keine Chance ein. "Das wäre politischer Selbstmord und das wird keine Landesregierung machen. Das sehr strenge Nichtraucherschutzgesetz hat der CSU bei den letzten Kommunalwahlen schon erhebliche Verluste eingebracht, sodass es schnell wieder abgeändert wurde", sagt der Verfassungsrechtler. Erste Reaktionen aus der Politik ließen auch nicht lange auf sich warten. So erklärte Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin, Gerlinde Kuppe, dass sie es für einen Fehler hält, dass der Nichtraucherschutz nicht bundeseinheitlich und ohne Ausnahmeregelungen gestaltet worden sei. "Deutschland hat sich also einmal mehr mit komplizierten Regelungen ein Bein gestellt", so Kuppe.

Der Bonner Jura-Professor kritisierte das höchste deutsche Gesetz in einem weiteren Punkt: "Was hier vom Bundesverfassungsgericht gemacht wurde, ist eine ökologische Zwangserziehung der Bevölkerung." Seiner Meinung nach, werden hier nicht nur die Wirte in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt, sondern auch die Raucher in ihren Grundrechten. Einer potentiellen Klage von Rauchern, die jetzt ihr Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit einklagen wollen, schob Isensee aber einen Riegel vor. "Das wird nicht klappen, denn das Verfassungsgericht würde sich immer auf das heutige Urteil berufen." Gespannt erwartet er nun jedoch, wie sich die Hüter der Verfassung zukünftig in der Frage des Gesundheitsschutzes positionieren werden. "Das könnte erst der Anfang sein. Denn wenn man den Gesundheitsaspekt so hoch ansiedelt, dann könnte man juristisch auch das Rauchen in der eigenen Wohnung oder im privaten Pkw verbieten", erklärt der überzeugte Nichtraucher Isensee.

Als Begründung für ihr Urteil führten die Verfassungsrichter an, dass der in Artikel drei verankerte Gleichheitsgrundsatz in den beanstandeten Gesetzen nicht genug Berücksichtigung findet. Denn diese legen fest, dass in Restaurants mit mehr als einem Gastraum geraucht werden darf, in Einraumkneipen und Discotheken jedoch nicht. Als Begründung war immer angeführt worden, dass man sowohl Besucher als auch Mitarbeiter vor den Folgen des Passivrauchens schützen wolle.

Die Beschwerdeführer monierten in ihrer Klage hingegen, dass die Ausnahmeregelungen für größere Betriebe wettbewerbsverzerrend wären und die wirtschaftliche Existenz von Einraumgaststätten gefährdeten. Denn manch eine Eckkneipe hat 70 Prozent Raucher als Stammkunden. "Zwar ist das Urteil erst einmal nur für die beiden Bundesländer bindend, wird aber Signalwirkung für alle Bundesländer haben", sagt Isensee. Denn dort gelten ähnliche Gesetze wie in Berlin und Baden-Württemberg. Vorläufig gilt, dass die aktuellen Regelungen formell in Kraft bleiben, doch darf mit sofortiger Wirkung wieder in Kneipen geraucht werden, die kleiner als 75 Quadratmeter sind, zu denen unter 18-Jährige keinen Zutritt haben oder in denen kein zubereitetes Essen angeboten.

Seit 1. Juli 2008 gilt das Nichtraucherschutzgesetz flächendeckend in Deutschland. Im vierten Quartal 2007 klagten Kneipen und Discos in Bundesländern mit Rauchverbot im Vergleich zum Vorjahresquartal über einen Umsatzrückgang um 14 Prozent. In Nordrhein-Westfalen hingegen, wo das Rauchverbot zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht galt, sank er im Schnitt um 8,8 Prozent.

Artikel vom 30. Juli 2008

 

Navigation

Pfad: Startseite  >  Suchtmittel  >  Legale Drogen  >  Nikotin
Suchformular

Themen

Unterstütze uns

Dieses Informationsangebot benötigt Zeit und Geld, um ausgebaut und betrieben zu werden. Spende jetzt 5 €, 10 € oder wieviel Du auch aufwenden magst, um Suchtmittel.de zu erhalten!
Zur Spendenseite...