Kommentar: Die Truppe und der Alkohol

So erschreckend und abstoßend die Exzesse in der Bundeswehr sind, so wichtig ist es, die Relationen zu wahren. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe hat bisher 54 Zuschriften von Ex-Wehrdienstleistenden und ehemaligen Berufssoldaten erhalten. Aus diesen Fällen auf die gesamte Truppe schließen zu wollen, wäre unredlich. Allerdings fällt auf, dass in fast allen Fällen Alkoholmissbrauch zugrunde lag.

Und das führt, unabhängig von den entwürdigenden Ritualen, zu einem grundsätzlichen Problem: Wer sich mit aktiven oder ehemaligen Wehrdienstleistenden unterhält, der wird den Eindruck nicht los, dass übermäßiger Alkoholkonsum zu den Erfahrungen gehört, die die meisten Rekruten machen - seit vielen Jahren. Trotzdem wurde nie eine flächendeckende Erhebung in der Bundeswehr durchgeführt. Wer wissen will, ob Trinkgelage beim Bund die Regel oder die Ausnahme sind, ist auf Mutmaßungen angewiesen. Ein unerträglicher Zustand. Besonders dann, wenn er Wehrdienstleistende betrifft. Sie absolvieren einen Pflichtdienst, der Staat trägt für sie besondere Verantwortung.

Verteidigungsminister zu Guttenberg verspricht, den von Ex-Soldaten geschilderten Fällen nachzugehen. Als der Wehrbeauftragte Robbe vor kurzem jedoch von der Möglichkeit eines generellen Alkoholproblems in Teilen der Truppe sprach, reagierte zu Guttenberg abwehrend. Doch dafür sollte er sich interessieren. Ein erster Schritt könnten anonyme Befragungen der Soldaten über ihre Beobachtungen sein - möglichst von neutraler Stelle. Ein zweiter wäre die Analyse, welche Umstände zu solchem Verhalten führen. Dass junge Männer - gerade unter Gruppendruck - anfällig für übermäßigen Alkoholkonsum sein können, ist nicht der Bundeswehr anzulasten. Anders sieht es aus, wenn Vorgesetzte beteiligt sind.

Zudem steht die Frage im Raum, ob auch die Art des Wehrdienstes eine Rolle spielt. Viele Rekruten sprechen von "Gammeldienst", quälender Langeweile auf den Stuben. Wenn diese Art von Wehrdienst tatsächlich üblich sein sollte, darf sich niemand über Frust wundern, der sich abends in Trinkritualen Bahn bricht. Dann wäre es die Aufgabe des Verteidigungsministers, solche Zustände zu ändern. Doch dafür muss er davon erstmal etwas wissen wollen.

 Stefan Küper

Westdeutsche Zeitung
Artikel vom 23. Februar 2010

 

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