Borderline: Reden hilft allen Beteiligten

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) gehört zu den spektakulärsten und zugleich am wenigsten verstandenen psychischen Krankheiten. Kommen Patienten, Angehörige und Therapeuten zusammen und reden auf gleicher Ebene miteinander, bessert dies die Situation aller.

An dieses Konzept hält sich die Trialog-Selbsthilfe, die sich in zwölf Städten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz regelmäßig in Regionalgruppen trifft. Am 29. Oktober widmet sich ein bundesweites Treffen in Ansbach dem Alltag und Arbeitsleben mit Borderline.

Blick hinter Selbstverletzung

Die Trialog-Idee kommt aus der Psychose-Selbsthilfe und wurde von Christiane Tilly und Anja Link, zwei ehemaligen BPS-Betroffenen, für Borderline adaptiert. "Man sitzt mit Angehörigen und Therapeuten zusammen, die jedoch nicht die eigenen sind. Dadurch spricht man freier und kann über Stellvertreter lernen", erklärt Tilly. Jedes Treffen steht unter einem Thema. "Zu den Dauerbrennern gehören die Diagnose, der Umgang am Arbeitsplatz oder das gesellschaftliche Stigma", berichtet die Journalistin und angehende Therapeutin Dagmar Weidinger, die den Wiener Trialog bei pro mente leitet.

Wie der Austausch konkret aussieht, schildert Tilly am Beispiel der Selbstverletzung. "Vier von fünf Borderliner sind davon irgendwann betroffen. Patienten berichten im Trialog etwa, dass sie enormen Druck verspüren und diesen durch Selbstverletzung verringern. Die Angehörigen formulieren ihr Entsetzen und sagen, sie können kein Blut sehen, während die Therapeuten auf die Möglichkeit verweisen, bessere Strategien zu erlernen." Bei genauerer Analyse stelle sich etwa heraus, dass dieses Verhalten auf psychiatrischen Stationen von anderen abgeschaut wurde, da es zur ersehnten Aufmerksamkeit des Umfeldes führt. Hier könne die Therapie ansetzen.

Weißkittelmacht am Ende

Die trialogische Selbsthilfe beendet die Übermacht des Therapeuten, betont der Mannheimer Psychiater Martin Bohus im pressetext-Interview. "Borderliner fügen sich oft bereitwillig der patriarchalischen Weißkittelmacht, die Therapeuten für sie darstellen. Besserung gelingt jedoch erst durch Mündigkeit und Selbstverantwortung." Speziell bei Borderline hänge Behandlungserfolg von der Erfahrung und Person des Therapeuten ab. "Der Austausch hilft Patienten, da sie meist viel zu lange falsche oder schlechte Therapien in Kauf nehmen. Vielmehr sollten sie aber das Gesundheitssystem sinnvoll nutzen", so Bohus.

Für Therapeuten sind Trialog-Treffen eine Schulung. "Anders als im geschützten Raum der Therapie wird hier ungeschönt sichtbar, wie sich die Patienten in ihrem Umfeld verhalten und wie kompliziert ihr Alltag abläuft", erklärt der Psychiater. Weidinger ergänzt, dass überraschende Erkenntnisse vorprogrammiert sind. "Betroffene sind etwa durch die Diagnose 'Borderline' oft sogar erleichtert, da mit ihr unerklärliche Schuldgefühle verschwinden und Besserungswege sichtbar werden", so die Expertin. Interessant sei auch, dass die Patienten selbst den teilnehmenden Therapeuten immer wieder raten, sich eine nötige Distanz zu bewahren.

Austausch ist Therapie

Im Unterschied zu vielen anderen Therapie- und Selbsthilfeansätzen sind im Trialog auch Angehörige dabei. "In der Regel sind das Eltern, Partner, oder Kinder von Betroffenen. Sie leiden oft sehr an der Situation, können aber durch ihr Verhalten auch dazu beitragen, dass es zu keiner Besserung kommt", betont Bohus. Auch hier bringe der Trialog-Austausch wertvolle Hinweise.

Ob der Trialog für sich bereits Therapie ist, sind sich die Experten uneins. Weidinger verneint zwar, erkennt jedoch gegenseitige Unterstützung im therapeutischen Sinn unter den Teilnehmern. "Wertschätzung und Respekt bestimmt die Gruppenatmosphäre, zudem bestätigt man sich gegenseitig und spricht Mut zu." Bohus betont, dass der Trialog keinen Ersatz für professionelle Therapie darstelle. "Trotzdem ist jede Form der Selbsthilfe auch Therapie und hilft allen Beteiligten, besser im Leben zurechtzukommen."

Artikel vom 25. September 2010

 

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