Magersucht: Wenn Hungern zum Wahn wird

Irina war zu dick. Befand Heidi Klum, warf die 19-Jährige vorzeitig aus ihrer Casting-Show und löste damit eine Diskussion um die Rolle der Medien im Kampf gegen einen unheimlichen Gegner aus. TV-Shows wie "Germany's next Topmodel" treiben Mädchen in die Magersucht, behaupten die Gegner und fordern Maßnahmen gegen die Diktatur der Dürre.

Irina wog zum Zeitpunkt ihres Rausschmisses übrigens 52 Kilogramm, gleichmäßig verteilt auf das stattliche Gardemaß eines Möchtegern-Models, war also nach landläufiger Auffassung alles andere als dick. Heidi Klums Jury verteidigte ihre Entscheidung mit dem Hinweis auf die Regeln der Modewelt, die nun mal Models wie Strichmännchen wünsche.

Dagegen sollte man was tun, und das ist auch zum Glück schon geschehen. Erstmals haben Veranstalter von Modeschauen zuletzt ein Mindestgewicht festgelegt und Mager-Models vom Laufsteg verbannt. Dass in Frankreich demnächst die Verherrlichung oder Verharmlosung von Magersucht generell unter Strafe gestellt werden soll, ist ein weiterer Schritt auf dem richtigen Weg.

Es ist nicht so einfach zu beweisen, dass Vorbilder in den Medien junge Menschen dem Schlankheitswahn in die Arme treiben. Genetische Disposition oder biologische Veränderungen im Gehirn könnten auch eine Rolle spielen, heißt es in aktuellen Studien. Schauen wir auf die Zahlen. Allein in Deutschland sind angeblich fünf Millionen an einer Essstörung erkrankt. Jedes 200. Mädchen leidet inzwischen an Magersucht oder der verwandten Bulimie, der Ess-Brechsucht. Und rund 15 Prozent der Erkrankten sterben. Verhungern, ziehen sich irreparable Organschäden zu oder nehmen sich verzweifelt das Leben.

Der Schlankheitswahn als Schönheitsideal spielt hier zweifellos eine Rolle. Wenn Victoria Beckham sich auf Jeansgröße 0 runterhungert, setzt das einen Trend. Wenn Heidi Klum eine propere Kandidatin wegen angeblichem Übergewicht aus dem Verkehr zieht, korrigiert die Fangemeinde die eigene Vorstellung vom Idealgewicht. Ein Schönheitsideal, und sei es auch ein falsches, kann man natürlich nicht so einfach verbieten.

Frankreichs Vorstoß, die Sucht per Gesetz zu stoppen, ist dennoch vorbildlich. Suchtkranke haben auf Laufsteg und Magazinseiten nichts zu suchen. Internet-Foren, in denen sich Essgestörte bis zum traurigen Finale gegenseitig anfeuern, gehören verboten. Da hat der Staat durchaus eine Fürsorgepflicht.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Artikel vom 16. April 2008

 

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