Schlanksein um jeden Preis

Immer wieder erfährt man in den Medien von jungen Frauen, die sich fast oder tatsächlich zu Tode gehungert haben. Ob brasilianisches Model, italienische Millionenerbin oder deutsche Schülerin ? dieses Phänomen macht nirgendwo halt. Es ist das Streben nach einem fraglichen Schönheitsideal und man nennt es Magersucht. Auch wenn großteils Frauen damit zu kämpfen haben, bleiben mittlerweile auch Männer nicht völlig davon verschont.

Magersüchtige achten strengstens auf ihr Gewicht. Selbst wenn nur ein Apfel gegessen wird, werden die Kalorien gezählt. Ziel ist es, die Idealfigur zu erreichen oder zu halten.
Magersüchtige achten strengstens auf ihr Gewicht. Selbst wenn nur ein Apfel gegessen wird, werden die Kalorien gezählt. Ziel ist es, die Idealfigur zu erreichen oder zu halten.

Für Betroffene dreht sich bald das ganze Leben nur noch um eine möglichst schlanke Figur, und wenn sie erst einmal in diesen Strudel aus Eitelkeit und Selbstkritik gezogen worden sind, kommen sie oft ohne professionelle Hilfe nicht mehr heraus. Bald ist jenen magersüchtigen Frauen auch schlank sein schon zu dick. Wenn sie vor dem Spiegel stehen, haben sie eine verdrehte Sicht auf den eigenen Körper und finden auch jedes noch so winzige Fettpölsterchen ärgerlich. Es kommt dann vor, dass sie sich dafür hassen und mit Nahrungsentzug fast schon bestrafen. Essen und kalorienhaltige Getränke, die ansonsten mit Genuss verbunden werden, wandeln sich in ihrer Gedankenwelt zu den Feinden der Magersüchtigen. Jeder fettarme Joghurt, den sie zu sich nehmen, wird vorher kritisch auf Fett und Kalorien geprüft.

Das Umfeld der betroffenen Mädchen oder Frauen reagiert schockiert und mit Unverständnis. Keiner kann nachvollziehen, dass man immer weiter abnehmen will, obwohl man bereits dünn ist. Wer außer den magersüchtigen Personen am meisten leidet, sind die Familie und der Partner. Eltern und Partner, die mit ansehen müssen, wie ihr Kind, ihre Freundin oder Frau einem Zwang unterliegt und immer knochiger wird, haben es schwer. Doch auch der Freundeskreis hat es nicht leicht. Alles Einreden auf die Betroffene nützt nichts, sie rührt das Essen auf dem Tisch nicht an und zieht sich mehr und mehr zurück.

Gesellschaftskritik

Oft spüren Magersüchtige kaum noch Hunger, da sie schon so an das wenige Essen gewöhnt sind. Ein Knäckebrot ist teilweise die Nahrung für einen ganzen Tag.
Oft spüren Magersüchtige kaum noch Hunger, da sie schon so an das wenige Essen gewöhnt sind. Ein Knäckebrot ist teilweise die Nahrung für einen ganzen Tag.

Oftmals reagieren Mädchen beziehungsweise Frauen, die sich im Schlankheitswahn befinden, aggressiv oder zumindest gereizt auf Sätze wie: ?Du bist doch schon dürr genug!? oder ?Komm doch wieder zur Vernunft, das sieht doch schon nicht mehr schön aus!?. Denn was sie hören wollen, sind doch Komplimente, was sie haben wollen, ist doch Anerkennung. Am gefährlichsten ist es im Verlauf der Magersucht immer, wenn dem Betroffenen das spärliche Essen und ständige Trainieren schon gar nichts mehr ausmacht und wenn man bereits kaum mehr Hunger verspürt. Nur selten gelingt einem das Überwinden der Sucht aus eigener Kraft. Ich weiß, wovon ich spreche...

Von Anfang an war mir klar: sich mit verschiedenen Suchtrichtungen unserer Zeit auseinander zu setzen, bedeutet auch immer Gesellschaftskritik. Mir fällt keine einzige Art von Sucht ein, deren Wurzeln nicht in den Defiziten und Verrücktheiten unserer Gesellschaft zu finden wären. Damit möchte ich nicht behaupten, dass es in der Weltgeschichte jemals eine bessere Gesellschaft gegeben hätte. Inquisition und Absolutismus lassen grüßen! Aber unser buntes Medienwunderland ist einfach ein fruchtbarer Nährboden für Probleme wie Magersucht, Kaufsucht und viele mehr. Jene, die es dann meist trifft, sind entweder Jugendliche, die in ihrer Pubertät sehr beeinflussbar sein können, oder erwachsene Menschen, die labil sind und vielleicht in schwierigen Verhältnissen leben.

Die Wurzeln des Übels

Es ist nicht schwer zu durchschauen, warum es bei der Magersucht meist weibliche Personen trifft. Jahrhundertelang waren die Frauen vor allem auf ihr Aussehen reduziert worden. Sicher, gut arbeiten und viele Kinder gebären mussten sie natürlich auch noch können. Doch wollte eine Frau bewundert werden wie die holde Dame von einem Minnesänger oder auch einmal Macht in Händen halten wie die anmutige Kleopatra, musste sie, neben guter Herkunft, schon dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Heute, auch nach der Emanzipation, liegt es vielen Frauen noch im Blut, so viel Gewicht darauf zu legen, das andere Geschlecht anzuziehen und vom eigenen beneidet zu werden. Sicher spielen da auch biologische Faktoren eine Rolle. Und das aktuelle Schönheitsideal in unserer Wohlstandsgesellschaft ist, unter anderem, möglichst schlank zu sein. Als breite Massen der Gesellschaft noch nicht Nahrung im Überfluss hatten, war man eher von Rundungen angetan. Darin liegt schon eine gewisse Ironie.

Schlankheitswahn in den Medien

Wer es zum Beispiel zum Model schaffen will, verzichtet teilweise trotz der häufig schon schlanken Figur ganz auf das Essen oder greift sogar zu Abführmitteln.
Wer es zum Beispiel zum Model schaffen will, verzichtet teilweise trotz der häufig schon schlanken Figur ganz auf das Essen oder greift sogar zu Abführmitteln.

Seit 2006 gibt es auch ein deutsches Pendant zu ?America´s Next Top Model?. Kannst Du Dir vorstellen, dass eine Frau mit Kleidergröße 40 auch nur durch die Vorauswahl kommt? Die, welche dabei etwas zu entscheiden haben, leider nicht. ?Das ist eben so in dem Business?, heißt es immer, aber warum muss das so sein? Es macht ohnehin mehr Sinn, Mode an eher durchschnittlich gebauten Frauen zu präsentieren, denn an Bohnenstangen sieht alles doch immer anders aus. Zudem kann man selbstverständlich auch mit Größe 38 bis 42, und sogar darüber hinaus, fabelhaft aussehen.

Bleiben wir beim Thema Medien. Im Sommer 2007 hatte ich während einer kleinen Runde Zappen die Sendung ?Hot or Not? entdeckt, ein abschreckendes Beispiel an naiver Oberflächlichkeit. Jede Woche stellen sich darin junge Männer und Frauen gestylt und in Badekleidung einer ?Fachjury? aus zwei Männern und einer Frau, um sich von ihnen in den Kategorien ?Face?, ?Body? und ?Sexappeal? mit Punkten bewerten zu lassen. Wer die meisten Punkte erhält, kommt eine Runde weiter. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Frauen mit großen Puppenaugen, süßem Gesichtchen und sehr zierlicher, langbeiniger Figur am besten punkten.

Das Kindchenschema, also große Augen, kleine Nase und kleiner Mund, wird meist für die Darstellung von Frauen in Mangas verwendet und ist auch im realen Leben oft bevorzugt
Das Kindchenschema, also große Augen, kleine Nase und kleiner Mund, wird meist für die Darstellung von Frauen in Mangas verwendet und ist auch im realen Leben oft bevorzugt

Ich frage mich, haben die denn zu viele Mangas gelesen? Nichts gegen Mangas, aber gegen Menschen, die das Aussehen von deren Charakteren als Schönheitsideal favorisieren. Dann frage ich mich, woher nehmen sich diese drei ?Helden? das Recht, andere Leute so zu bewerten? Aber sie nehmen sich das Recht ja nicht, sie bekommen es, von den unsicheren jungen Menschen, die dort nach Bestätigung suchen. Solche Sendungen wie diese bringen einmal mehr ans Licht, wie der Geschmack der Massen aussieht und wie sich junge Menschen davon abhängig machen.

Nur Mut!

Wo endet das Streben nach Schlankheit und wo fängt Magersucht an? Der Übergang kann fließend sein, ich habe es selbst erlebt, als ich noch ein Teenager war. Über drei Jahre war ich stark am Rande der Magersucht, wenn nicht schon mittendrin. All die oben beschriebenen Verhaltensweisen kenne ich nur zu gut, der ständige Verzicht wenn es zum Essen kam, bis er mir leicht fiel. Zum Glück konnte ich im Alter von 17 Jahren die innere Stärke aufbringen, die Kurve noch zu kriegen. Diese innere Kraft wünsche ich ebenso allen anderen, die mit Magersucht zu kämpfen haben, denn auch zu einer Therapie braucht es viel Mut.

Jasmin Engel
Artikel vom 22. November 2007

 

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